Rollei 35 AF
2024 © Thomas GadeRollei 35 AF
Die Rollei 35 AF ist eine analoge Kamera für den 35mm Kleinbildfilm. Hergestellt wird sie von MiNT, einem seit 2009 in Hongkong ansässigen Unternehmen, das seine Wurzeln in der Reparatur und im Verkauf alter Polaroid-Kameras hat.
2022 startet MiNT ein Projekt zur Entwicklung einer Kamera, die der alten Rollei 35 nachgeahmt ist, aber einen Autofokus haben soll. Die endgültigen Spezifikationen werden im Juni 2024 veröffentlicht. Für 849 € ist die Kamera ab September 2024 vorzubestellen. Die Auslieferung beginnt im Folgemonat zunächst in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Andere Länder werden ab Januar 2025 beliefert.
Alte Rollei 35 neben der Rollei 35 AF
Rollei war im vergangenen Jahrhundert ein bedeutender deutscher Kamerahersteller, der legendäre zweiäugige Spiegelreflexkameras für 6x6 und andere professionelle Mittelformatkameras produzierte. Rollei baute auch Kameras für den Kleinbildfilm. 1966 kam die erste Rollei 35 heraus. Es war eine kompakte Kamera, deren 40 mm Objektiv in das Gehäuse geschoben werden konnte. Im Laufe der Zeit wurden verschiedene Varianten herausgebracht, die einander ähnelten. Die Rollei 35 Modelle waren bis Mitte der 1990er sehr erfolgreich.
Die 30 Jahre später herausgebrachte Rollei 35 AF ähnelt ihren historischen Vorbildern, aber sie stammt nicht mehr vom selben Hersteller. Durch ihr Design und Bezeichnung tritt sie in tiefe Fußstapfen ihrer Ahnen. Auf der einen Seite profitiert sie vom etablierten Markennamen. Aber sie muss auch dem guten Ruf der alten Kameras gerecht werden. Auch wenn manche Details und die grundsätzliche Konstruktion der Rollei 35 AF wie bei den alten Rollei 35 erscheinen, so gibt es doch deutliche Unterschiede.
Die Rollei 35 AF ist eine Konstruktion aus der Zeit von 2022-2024. Sie hat einen Autofokus und einen integrierten Blitz. Beides fehlte bei der alten Rollei 35. Die neue Rollei 35 AF bietet die Möglichkeit, Blende und Zeit automatisch einzustellen oder im AUTO-Modus zu fotografieren.
Lesen Sie unbedingt vor Gebrauch die Bedienungsanleitung, um alle Funktionen und Möglichkeiten zu entdecken.
Technische Daten
Hersteller: Mint (Hongkong)Bezeichnung: Rollei 35 AF
Aufnamemedium: 35 mm Kleinbildfilm
Format: 24 x 36 mm Objektiv: F2,8 f=35 mm, einstellbar von 0,7 m bis unendlich
Blende: 2,8 bis 16
Fokussierung: Autofokus mit LiDAR Belichtungzeiten: 1 bis 1/500 Sek. und LT-Modus bis zu 60 s
Belichtungsmessung: Mittenbetonter Durchschnitt
Filmempfindlichkeit: 25 bis 3200 ASA (= ISO)
Belichtungsmodi: Manuell und automatisch Blitz: eingebaut
Stromversorgung: 3-V-Lithiumbatterie CR2
Farben: Schwarz oder Chrom
Abmessungen: 104 x 75 x 56 mm
Gewicht: 248 g + Batterie 10 g + Deckel 4 g + Handschlaufe 6 g + Film 22 g
Oben Rollei 35 AF, unten Rollei 35.
An der Unterseite der alten Rollei 35 befinden sich u.a. ein Zählwerk und ein Blitzschuh mit Mittenkontakt. Die Rollei 35 AF hat keinen Blitzschuh, aber ein eingebautes Blitzgerät. Wichtig: Das Objektiv der Rollei 35 AF ist fest angebaut. Es wird nicht zum Transport in das Kameragehäuse geschoben.
Stromversorgung
Deckel des Batteriefachs
Die Kamera benötigt eine CR2 Batterie. Das Batteriefach ist schwer zu öffnen. Es hat ein strammes Scharnier. Die geschlossene Klappe ragt nicht aus der Rückwand heraus. An der Seite gegenüber dem Scharnier fehlt eine kleine Vertiefung, um sie mit dem Fingernagel anzuheben. Deshalb klebe ich ein Stück Tesafilm als provisorische Lasche auf die Klappe, um sie zu öffnen.
Das mag umständlich erscheinen, aber wenn wir die neue mit der alten Rollei 35 vergleichen, sollte nicht unerwähnt bleiben, dass sich das Batteriefach beim Original im Inneren der Kamera befindet und der Batteriewechsel ganz schön fummelig ist.
Zum Wechseln des Films wird das Rückteil der Rollei 35 AF entfernt. Das Öffnen und Anmontieren des Rückteils erfordert etwas Fingerspitzengefühl. Am besten übt man das, bis es locker klappt.
Auslöser
Der Auslöser kann verhältnismäßig weit nach unten gedrückt werden. Auf halber Höhe werden Autofokus und Bildzähler aktiviert. Um eine Aufnahme zu machen, wird der Auslöser noch tiefer herunter gedrückt.Er hat kein Gewinde für einen Drahtauslöser. Die Rollei 35 AF hat aber auch keine Buchse für einen elektronischen Auslöser. Ersatzweise kann man den Selbstauslöser nutzen, um berührungsfrei auszulösen, aber dabei fehlt die Kontrolle über genau den richtigen Moment zum Belichten.
Um den Auslöser gibt es ein schwarzes Drehrad mit verschiedene Schalterstellungen.
Das runde Mini-Display neben dem Auslöser erfüllt mehrere Zwecke.
Es zeigt den Modus an ...
... oder den ISO Wert ...
... oder die Bildnummer wenn der Auslöser halb eingedrückt wird.
Sucher
Im Sucher der Rollei 35 AF sieht man einen Leuchtrahmen, der anzeigt, was man aufnimmt. Das Bild ist leider stark tonnenförmig verzeichnet und die Position des Leuchtrahmens ist stark vom korrekten Einblick abhängig. Im Gegensatz dazu bietet der Sucher einer alten Rollei 35 ein helleres und verzeichnungsfreies Bild.
Die Sucher der alten Rollei 35 Modelle ist brillentauglich und verzeichnungsfrei. Man muss die Kamera nicht gegen das Brillenglas drücken, um gut durch den Sucher zu blicken.
Die beiden Fotos von den Suchereinblicken werden der realen Durchsicht nicht gerecht. Die alte Rollei 35 hat außerhalb ihrers Leuchtrahmens ein viel größeres Bild als hier zu sehen ist. Der Leuchtrahmen im Sucher der Rollei 35 AF ist beim Einblick nicht ganz so weit außerhalb des Bildes.
Leider ist der Sucher der Rollei 35 AF nicht so gut wie bei der alten Rollei 35. Das ist eine unnötige Schwäche.
Autofokus
Der Autofokus ermittelt die Entfernung zum Motiv mithilfe eines Lasers. Das Verfahren heißt Lidar. Entweder ist er sehr schwach oder der Vorgang erfolgt so schnell, dass er auch in einem dunklen Zimmer nicht zu sehen ist. Vielleicht wird eine Wellenlänge genutzt, die für uns nicht sichtbar ist.Der Autofokus funktioniert durch den eigenen Laser auch unter schlechten Lichtverhältnissen. Dass er seine Arbeit verrichtet, ist deutlich hörbar. Die Trefferquote ist hoch.
Bei Aufnahmen von Objekten, die hintereinander angeordnet sind, wählt der AF ev. nicht immer das gewünschte zur Entfernungseinstellung. Zum Beispiel stellte der AF beim Fotografieren eines Fahrrads an einem Pfahl für ein Straßenschild die dahinter liegende Bordsteinkante scharf. Im Sucher gibt es mittig im Leuchtsucher einen Kreis, der wohl das Ziel vom Autofokus markiert. Allerdings verschiebt er sich in Abhängigkeit vom Einblick in den Sucher.
Komplexes Foto mit Objekten in unterschiedlichen Abständen. Fotografiert mit Blende 5.6. Der Autofokus hat auf die herabhängenden Zweige hinter den beiden vorderen Birken scharf gestellt.
Kleiner Auschnitt aus dem Bild. Das Objektiv der Rollei löst feine Details auf.
Belichtungsmesser
Ein Kontakt von einem Testfilm zeigt, dass der Belichtungsmesser recht zuverlässig arbeitet.
Die Blende wird an einem Ring neben dem Objektiv eingestellt.
Kein Filtergewinde
Objektiv ohne Filtergewinde
Die Rollei 35 AF hat kein Filtergewinde am Objektiv. Die schwarze Plastikring an der Vorderseite ist leider etwas wackelig angebracht. Ich möchte niemandem raten, ihn während der Garantiezeit zu entfernen und einfach fest zu kleben, aber das wäre wohl eine Maßnahme, um diese Schwachstelle zu beheben. Hier sollte der Hersteller nachbessern.
Objektivdeckel
Der beigefügte Objektivdeckel hat ein Profil, das zum schwarzen Plastikring am Objektiv passt. Er ist auf zwei gegenüberliegenden Seiten etwas dicker und dort an den Außenseiten geriffelt. Er wird in einer bestimmten Stellung auf den Plastikring gedrückt. Zwei dünne Backen, wohl aus Moosgummi, sollen dafür sorgen, dass er dort bleibt. Beim Herausholen der Kamera aus einer Tasche ist mir der Deckel zweimal heruntergefallen und auch in der Tasche blieb er nicht immer auf dem Objektiv.
Sollte Mint der Kamera ein Filtergewinde am Objektiv nachrüsten, wäre statt des jetzigen Objektivdeckels ein besserer mit den üblichen Klemmen beizugeben.
Die Qual der Wahl: Altes Original für 200 € mit ev. Macken vom Gebrauchtmarkt oder neue Rollei 35 AF mit Garantie und Autofokus? Oder beide?
Bewertung
Im Jahre 2024 eine neue analoge Kleinbildkamera für etwa 850 € herauszubringen ist gewagt, weil es auf dem Gebrauchtmarkt noch viele gut erhaltene ältere für sehr viel weniger Geld gibt. Aber die Rollei 35 AF war nicht der einzige analoge Nachzügler, Ricoh hatte im gleichen Jahr erfolgreich die Pentax 17 herausgebracht. Und Leica bietet seit 2023 wieder neue Leica M6 Kameras an, die richtig teuer sind.Die Hersteller scheinen damit richtig zu liegen. In den sozialen Medien gibt es begeisterte Bewertungen dieser Kameras sogar von älteren analogen Fotografen, die eigentlich mehr als genug ältere Fototechnik haben. Obwohl sie gar keine neuen Kameras benötigen, stößt die Rollei 35 AF selbst bei ihnen auf großes Interesse und nicht nur bei jüngeren Einsteigern. Was genau zu dieser Begeisterung führt, ist rational kaum zu erklären. Inspirierend wirkt vor allem die Tatsache, dass Mint, Ricoh und Leica wieder neue Kameras bauen. Käufe von eventuell als zu teuer empfundenen Produkten unterstreichen die Bereitschaft der Konsumenten, diese Entwicklung zu unterstützen.
Obwohl die Rollei 35 AF einige bauliche Schwächen aufweist, ist sie eine interessante Kamera für analoge Fotografen, die eine Kombination aus zeitgemäßer Technologie und klassischem Design schätzen. Insgesamt fallen mir mehrere Gründe für den Erwerb der Rollei 35 AF ein.
1. Ihr Objektiv liefert scharfe und detailreiche Bilder.
2. Sie ist leicht und kompakt und somit bequem mitzunehmen.
3. Ihre Belichtungsautomatik vereinfacht den Gebrauch, aber man kann auch auf eine manuelle Bedienung umschalten.
4. Durch den Autofokus ist die Trefferquote höher als bei der originalen Rollei 35, bei der in der Praxis ein geschätzter Wert für die Entfernung manuell am Objektiv eingestellt wird.
5. Die Rollei 35 AF ist den legendären kleinen Rollei 35 Modellen aus dem letzten Jahrhundert sehr ähnlich. Der Retro-Look kommt gut an.
6. Die Kamera symbolisiert die Entstehung einer neuen Produktion von analogen Fotoapparaten. Das ist positiv, weil die historischen Originale mittlerweile einige Jahrzehnte alt sind und immer mehr durch ihr Alter und Gebrauch ausfallen. Für viele alte Fotogeräte gibt es heute auch nicht mehr die früher verwendeten Batterien oder Ersatzteile.
7. Der Einstieg oder Verbleib in der analogen Fotografie wird durch Vertrauen in eine nachhaltige Produktion von Kameras, Filmen und Fotochemikalien unterstützt. Neue Kameras tragen dazu bei.
Möge der Erfolg anhalten und den Hersteller Mint motivieren, einige Schwachstellen zu beheben. Ein Filtergewinde und ein Anschluss für einen Fernauslöser sollten im Rahmen der Modellpflege nachgerüstet werden. Ein besserer Sucher wäre schön. Für 850 € sollte auch eine Tasche im Lieferumfang enthalten sein.
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