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110 Pocketfilm


2021 © Thomas Gade


Asahi PENTAX auto 110 - SLR für den Pocketfilm

Oskar Barnack konstruierte 1913 die erste Leica Kamera. Sie belichtete beidseitig perforierten 35mm Kinofilm mit Aufnahmen im Format 24x36mm. Verzögert durch den ersten Weltkrieg und einige andere Dinge, kam es erst 1925 zur Markteinführung. Ein voller Erfolg!

Konsequenterweise probierte man das auch mit dem 16mm Kinofilm. Dafür kamen Ende der 1950er erste Fotoapparate auf den Markt, die jedoch nur geringe Verbreitung fanden, was wohl auf den umständlichen und riskanten Filmwechsel mit kleinen Spulen ohne Patronen zurückzuführen war.

Deshalb stellte Eastman Kodak 1972 eine Kassette mit 16mm Film vor, die leicht in Kameras eingelegt und wieder entnommen werden konnten. Sie hatte auf einer Seite einen zylindrischen Hohlraum für frischen Film und auf der gegenüberliegenden einen für belichteten. Der Film war wie ein 120 Rollfilm (Mittelformat) mit einem Schutzpapier aufgewickelt, auf dessen Rückseite Bildnummern aufgedruckt waren, die durch eine Öffnung in der Kassette und Rückwand der Kameras gesehen werden konnte. Das kleine Bildformat betrug nur 13 × 17 mm.


Pocketfilme von Agfa, Fujifilm, Lomography

Die meisten der sogenannten 110 Pocketfilme waren für 24 Aufnahmen konfektioniert. Es gab sie auch für 12 oder 20 Aufnahmen. Der Pocketfilm für 24 Aufnahmen ist ca. 76 cm lang, gemessen am Lomography Orca 110 B&W ISO 100.

Gemeinsam mit billigen, einfach ausgestatteten Kameras waren Pocketfilm-Kassetten von 1973 bis 1982 vor allem bei Knipsern mit eher geringen fotografischen Ambitionen populär.

Als Filmempfindlichkeit waren lediglich niedrig (ca. ISO 100) und hoch (ca. 400) ohne exakte Definition vorgesehen. Die Kassetten waren unterschiedlich codiert, um Kameras über die Empfindlichkeit zu informieren. Darum haben Pocketkameras keine manuellen Empfindlichkeitseinstellungen.

Es wurden nicht viele Filme für das Format konfektioniert. Anfangs gab es eine größere Auswahl, dazu zählten auch Diafilme, während in den frühen 1980ern fast nur noch einige Farb-Negativfilme mit ISO 100-400 und wenige Jahre später generell nur noch mit ISO 200 angeboten wurden.

Filme mit großem Belichtungsspielraum

Als Filmmaterial eignen sich für die einfachen Pocketkameras hauptsächlich Negativfilme mit großem Belichtungsspielraum, während sie für Diafilme zu ungenau sind. Im Negativ-Positiv-Prozess können etwas zu knapp oder zu stark belichtete Negative durch angepasste Belichtungszeiten im Fotolabor zu korrekten Positiven vergrößert werden.

Kaum geeignet für Dias

Ein zu knapp oder zu stark belichtetes Dia ist dagegen aber zu hell oder zu dunkel. Außerdem hatte sich längst der 5x5 cm Diarahmen etabliert, der Kleinbild-Dias in den Formaten 24 × 36 mm sowohl hoch als auch quer aufnahm. 5 x 5 cm Diarahmen  gab es auch für 18 x 24 mm, 24 x 24 mm und das quadratische Superslide Format (ca. 38 x 38mm).

Man konnte auch kleinere Formate in Diarahmen mit 5x5 cm Außenmaß stecken, die sogar angeboten wurden. Allerdings hatten Diaprojektoren für den Hausgebrauch Beleuchtungssysteme und Projektionsobjektive, die für das Kleinbildformat optimiert waren und nicht für die winzigen Pocketbilder.

Dennoch gab es in den 1970ern einige Diafilme in Pocketkassetten. Aktuell hat Lomography sogar den Diafilm (Peacock X-Pro Slide 110) mit ISO 200 im Sortiment. Er ist vor allem für die Cross-Entwicklung im Farbnegativprozess C41 vorgesehen, bei dem Negative für Bilder mit falschen Farben entstehen.

1972 -1980 . Einführung und Blütezeit des Pocketfilms

Der Pocketfilm bot Kameraherstellern die Möglichkeit, billige neue Kameras für eine große Zielgruppe herzustellen und erfolgreich zu verkaufen. Die Entwicklung des Kameraangebotes lässt sich mithilfe der jährlich erscheinenden, dicken Katalogs für den Fotohandel gut nachvollziehen.

Agfa landete 1973 mit seiner Agfamatic 2000 einen Volltreffer. Sie wurde durch ihre Geräusche beim Spannen zum Namensgeber dieser Kameragattung: Ritsch-Ratsch-Kamera

Im ‚der große fotokatalog 77/78‘ sind zahlreiche Pocketkameras von Agfa, Fuji, GAF, Hanimex, Keystone, Kodak, Minolta, Regula, Rhaco, Rollei, Vivitar und Voigtländer aufgeführt.

Um 1985 hatte das Interesse jedoch stark nachgelassen, weil kleine Kompaktkameras mit Autofokus, integriertem Blitz und Zoomobjektiv ebenso einfach zu bedienen waren und eine bessere Bildqualität boten. Die Ausgabe 85/86 (1985) enthält nur noch eine Kamera von Agfa, einige von Minolta, Regula und letztmalig die Pentax auto 110 super im Set mit einigen Objektiven. Die Attraktivität des Pocket-Systems hatte ihren Höhepunkt überschritten.

In der Ausgabe 91/92 wurden nur noch zwei Pocketkameras von Hanimex aufgeführt.


Agfa. Agfamatic 2000 sensor pocket mit rundem orangefarbenen Auslöser

Asahi Optical Co. (Pentax) war der einzige Hersteller, der für dieses Filmformat von 1978 bis 1985 Spiegelreflexkameras mit Wechselobjektiven anbot. Minolta baute ebenfalls zwei Spiegelreflexmodelle, allerdings mit fest angebauten Zoomobjektiven. Minolta brachte 1976 die 110 Zoom SLR heraus, die 1979 von der Minolta 110 Zoom SLR II abgelöst wurde. Sie boten den Fotografen bessere manuelle Einstellmöglichkeiten. Insbesondere die Minolta 110 Zoom SLR Mark II kann man wohl als die beste All-Inclusive-Lösung zur anspruchsvollen Nutzung dieses Filmformats betrachten. Im ‚der große fotokatalog 85/86‘ ist sie nicht mehr aufgeführt.


Pentax auto 110 super neben entwickeltem SW-Negativfilm

Historie des Pocketfilm-Sortiments

Neben Eastman Kodak produzierten Agfa, Fuji und Ferrania Pocketfilme. Der italienische Hersteller Ferrania war darauf spezialisiert, Filme für andere Marken herzustellen, wie Scotch oder Konica und div. Hausmarken einiger Drogerien und Fotohandelsketten. Sie waren qualitativ durchschnittlich und weniger für Profis als für Amateuren gedacht.

Es wurden relativ wenige Filmtypen in 110 Kassetten konfektioniert. Das kleine Aufnahmeformat konnte keine hohen Ansprüche an die Bildqualität befriedigen. Deshalb lohnt sich der Bau besserer Kameras kaum. Darüber hinaus hatte Kodak bei der Spezifikation dieses Formats lediglich zwei Empfindlichkeiten vorgesehen, nämlich niedrig und hoch.


Aus 'der grosse fotokatalog 85/86' (1985). Nur zwei von fünf Farbfilmen für Consumer gab es laut dieser Tabelle in 110 Pocket-Kassetten. [Diafilme sind mehrfach aufgeführt] Der Agfa XR 100 mit dem feinsten Korn und höchsten Auflösungsvermögen unter den Farbnegativen gehörte nicht dazu.


Beim Blättern in den genannten Katalogen sind Tabellen mit Filmen der verschiedenen Herstellern zu finden sowie auch Angaben zur Konfektionierung. Die 110 Kassette ist nur selten aufgeführt.

1978, in der Blütezeit des Pocketfilms, bot Kodak den Schwarzweißfilm Verichrome-Pan (ASA/ISO 125) auch in 110 Kassetten an, aber keinen anderen Schwarzweißfilm. Agfa, Ilford und Tura hatten laut einigen Katalogen überhaupt keine SW-Filme für Pocket im Angebot.

Anfangs gab es einige Diafilme in 110 Kassetten, nämlich Kodachrome 64, Ektachrome-X, Fujichrome R 100 sowie Agfa CT 18, die nur wenige Jahre später allesamt gestrichen waren.

In der Ausgabe 91/92 ist bei Agfa nur noch der XRG 200 als 110 Kassette gelistet. Weder bei Agfa, Ilford bei Kodak wird in dem Katalog ein Pocketfilm für Schwarzweiß aufgeführt. Von den Agfa Professional Farbfilmen wurde wohl nie einer in 110 Kassetten angeboten.

Ab den 1990ern waren von den großen Filmherstellern hauptsächlich Kodak Gold II 200, Agfa Vista 200 und Fujicolor Super G (ISO 100) sowie Fujicolor Superia 200 im Handel.

Kleines Filmformat versus Bildqualität

Der Pocketfilm konnte bei Anwendern mit mittleren bis hohen Ansprüchen nie wirklich gegenüber dem Kleinbildformat (24x36mm) bestehen. Dessen etwa viermal so große Fläche trug zu einer wesentlich besseren Detailauflösung und feineren Körnigkeit bei.

Darüber hinaus gab es für den Kleinbildfilm bedeutend besser ausgestattete Kameras, bessere Objektive und auch ein viel größeres Filmangebot mit teils viel besseren Eigenschaften als das mittelmäßige Pocketfilm-Material.

Seit der Blütezeit des Pocketfilms wurden beim Herstellen von Filmen Fortschritte hinsichtlich der Feinkörnigkeit und ihres Auflösungsvermögens gemacht, die diese Technik aber nicht wieder beleben konnten. Schade für heutige Pocket-Fotografen, dass der Kodak T-Max 100 oder 400 nicht in die 110 Kassette zu haben sind.

Pocketfilme entwickeln

Pocketfilme (16 mm Film) kann man ganz normal entwicklen, allerdings gibt es meines Wissens passende Fimspiralen für Entwicklungstanks längst nur noch antiquarisch.


JOBO 2000 Entwicklungstank mit Filmspirale 2001a für 110 Pocketfilm.
Neu nicht mehr zu kaufen, aber manchmal bei eBay zu finden.

Alternativ kann man sich leicht mit Stehtanks aus PVC-Rohren mit 25 mm Durchmesser und 80 cm Länge behelfen. Sind sie dicker, muss mehr Flüssigkeit hinein, um den nötigen Füllstand zu erreichen. PVC-Rohre sind billig im Baumarkt zu erwerben. Mit passenden Endkappen kann man eine Seite wasserdicht verschließen. Sie müssen irgendwie sicher senkrecht (!) aufgestellt werden. Wie man das macht, überlasse ich der Fantasie der Leser. Zur Inspiration zeigt die folgende Zeichnung, eine einfache Lösung mithilfe eines Bretts mit drei passenden Löchern quer über die Badewanne. Im Raum muss es während des Vorgangs dunkel sein bis der Film im Fixierbad hängt.



Schmale PVC-Röhren sind für die schmalen und relativ kurzen Filme gut als Stehtanks zum Entwickeln geeignet. Mit einem Gewicht am unteren Ende des Films kann er in die Röhren gehängt werden.

Pocketfilme digitalisieren

Filmscanner sind zum Digitalisieren des kleinen Pocket-Formats kaum geeignet. Ein 4000 dpi Filmscanner würde die kleine Vorlage (13x17mm) nur mit 5,4 Megapixel auflösen.

Stattdessen sollte man die Negative (oder Dias) am besten mit einer guten digitalen Kamera mit Makroobjektiv abfotografieren. Beispiel: Die Pentax K-3 III (APS-C Sensor mit 25,5 Megapixeln) mit einem smc Pentax-FA 50 mm F2.8 macro ist in der Lage, die winzigen Bilder zu digitalisieren. Beim max. Maßstab 1:1 des Objektivs (ohne Nahlinse oder Zwischenring) wird zwar nicht der gesamte Sensor genutzt, sondern nur ca. 60% (14,75 Megapixel).

Weil Makroobjektive normalerweise ohne Zubehör bis zum Abbildungsmaßstab von 1:1 reichen, sind am besten Systemkameras mit MFT-Sensor geeignet, der genauso groß ist wie das Pocketformat, nämlich etwa 13x17mm. Als ‚Scanner‘ käme beispielsweise eine gebrauchte Olympus PEN E-PL7 in Betracht, die ca. 120 € zu haben ist. Sie wird an ein Balgengerät adaptiert, das als Optik ein gutes 50 mm Vergrößerungsobjektive aus dem Fotolabor verwendet. Da es bei solchen Arbeiten nicht auf gute High-ISO Fähigkeiten ankommt oder Video-Funktionen, sind ältere Systemkameras mit MFT-Sensor bestens dafür verwendbar.


Die abfotografierten Negative wurden invertiert und zu einem digitalen Kontaktabzug zusammengestellt.



Einzelnes Foto aus dem Film


Ausschnitt 800 x 550 Pixel aus der Datei




1986. Berlin. Jazzclub Quasimodo. Eddie Harris am Klavier. Fotografiert mit einer Pentax auto 110



Kameras gebraucht kaufen

Durch die Nachteile des Pocketfilms, nämlich ein geringes Filmangebot und der nicht so berauschenden Bildqualität, ist die zugehörige Fototechnik nicht besonders attraktiv. Ritsch Ratsch Kameras verschiedener Herstellern sind auf Flohmärkten für 5-10 € zu finden.

Spannend sind jedoch einige hochwertige Modelle, wie Spiegelreflexkameras von Minolta und Pentax. Sie haben sehr gute Objektive und ermöglichen eine präzise Scharfstellung. Für einige Motive, wie die Porträts, bei denen das Format voll ausgenutzt wird und kein starker Beschnitt für das fertige Bild erfolgen muss, sind sie durchaus attraktiv. Ihre geringe Größe und ihr gleichzeitig wertiges Aussehen positionieren sie als interessante Lifestyle-Objekte, die eine wohlwollende Aufmerksamkeit erregen.

Nachteilig ist das geringe Filmangebot heutzutage. Für Selbstentwickler der Filme gibt es keine neuen
Filmspiralen für Entwicklungstanks mehr im Handel. Man kann sich mit dünnen PVC-Rohren behelfen, in die man die Filme zum Entwickeln die entsprechenden Bäder hängt oder findet auf eBay von JOBO eine alte 2001a Filmspirale für das Tanksystem 2000.

Pocketfilm heute kaufen

Die zuvort aufgeführten Filme sind längst Geschichte. Gerne werden alte unbelichtete Pocketfilme für rund 10 € das Stück angeboten. Der Preis ist für die oft über 20 Jahre alten Filmen völlig übertrieben, zumal sie wohl eher selten gekühlt aufbewahrt wurden.

Lomography hat ein Sortiment frischer Pocketfilme für jeweils 24 Aufnahmen. Dazu gehört der Lomography B&W Orca 100 ISO 110, ein Schwarzweiß-Negativfilm für aktuell 7,90 €. Den Farbnegativfilm Lomography Color Tiger (ISO 200) gibt es im Dreierpack für 18,90 €. Woher das Material stammt, ist mir unbekannt. Meines Wissens hat Lomographie keine eigene Filmproduktion.

Lomography bietet sogar einen Diafilm (Peacock X-Pro Slide 110) mit ISO 200 an. Wegen der ungenauen Belichtung in den allermeisten Pocketkameras setzt Lomography vor allem auf die Cross-Entwicklung im Farbnegativprozess C41, bei dem statt Dias Negative für Bilder mit falschen Farben entstehen.

Auf jeden Fall sind diese frischen Filme preiswerter und verlässlicher als alte Ware zweifelhafter Qualität.

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